Einen Bericht von 20 Minuten Online
von Runa Reinecke - Jeder zweite Schweizer ist zu dick. Liegt es an den immer grösser werdenden Portionen? Für einen Adiopositas-Experten ist das nur die Kruste des Eisberges.
Eigentlich ist es ganz einfach: Wer weniger Kalorien zu sich nimmt, als er verbrennt, nimmt ab. Halten sich die zugeführte Energie und der Verbrauch die Waage, bleibt das Körpergewicht konstant. Eine simple Regel, die viele von uns offenbar nicht verinnerlicht haben, denn: 53 Prozent aller Schweizer sind – gemessen am Bauchumfang – zu dick, wie in einem Artikel der SonntagsZeitung zu lesen ist.
Ist das natürliche Sättigungsgefühl nicht vorhanden, wird es schwierig: Versuchungen lauern praktisch überall, und das nicht selten in übergrossen Mengen. Immer mehr orientiert sich das Konsumparadies Schweiz an XXL-Verpackungen, wie sie seit Jahren in den USA verkauft werden. Auch die beliebteste aller flüssigen Kalorienbomben, die Cola, ist längst in Zwei-Liter-Flaschen erhältlich, während sie laut Beobachter früher noch in kleinen 19-Zentiliter-Behältnissen verkauft wurde. Aber auch Gummibärli drängeln sich heute in einer 300-Gramm-Packung. Vor einigen Jahren gab es die klebrige Süssigkeit noch in Tüten zu 100 Gramm.
Popcorn aus dem Pappkübel
«Die Grösse der Verpackungen ist ein Aspekt, der die Konsumenten im Supermarkt beeinflusst», meint Jutta Mata, Psychologin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Die Wissenschaftlerin hält
es laut Foodwatch durchaus für denkbar, dass viele Amerikaner vor allem wegen in ihren Megastores erhältlichen Monsterpackungen zu dick sind.
Wer allerdings glaubt, nur in Grossverteilern in die XXL-Falle zu tappen, der irrt: Selbst ein Kinobesuch verleitet zum Verzehr wenig figurfreundlicher Portionen. Gab es das Popcorn früher in kleinen handlichen Säckchen, darf man den Mais-Snack heute aus prall gefüllten 500-Gramm Pappkübeln in sich hineinschaufeln.
Suppe satt doch der Hunger bleibt
Eine Studie des Ernährungswissenschaftlers Brian Wansink zeigt, was der Konsum übergrosser Portionen mit uns anrichten kann. Gemeinsam mit seinen Arbeitskollegen von der Universität Illinois untersuchte er das Verhalten einiger Versuchspersonen mit präpariertem Essgeschirr. Während sich die Probanden verköstigten, floss unbemerkt Suppe in den Teller nach. Dabei zeigte sich, dass die Versuchsesser bis zu zwei Drittel mehr assen, als die Teilnehmer der Vergleichsgruppe, welche eine normale Portion auslöffelten – mit ernüchterndem Resultat: Trotz der Extraportion verspürten die Testpersonen kein wirkliches Sättigungsgefühl.
Bereit in frühester Kindheit können die Weichen für das Verlernen des Sättigungsempfindens gestellt werden. Ermahnungen wie «wenn du nicht brav deinen Teller leer isst, gibt es morgen schlechtes Wetter» oder «du bekommst das Dessert erst, wenn du aufgegessen hast», können dazu beitragen, dass bereits die Kleinsten nicht mehr wissen, wann sie genug haben. Solche Massregelungen verurteilt der Mediziner Fritz Horber, Leiter des Übergewichtszentrums und Chefarzt für Innere Medizin an der Klinik Lindberg: «Wenn ein Kind nicht untergewichtig ist, sollte man es nicht zum Weiteressen überreden.»
Volumen versus Energiedichte
Der Arzt sieht das Problem allerdings weniger in der Menge, sondern mehr im Inhalt der Speisen: «Nicht die Portionsgrösse sollte hinterfragt werden, sondern die Energiedichte unseres Essens», meint der Adipositas-Spezialist im Gespräch mit 20 Minuten Online und rät gleichzeitig dazu, das Volumen der Mahlzeiten zu erhöhen: «Wenn man zum Beispiel Spaghetti mit Brokkoli ‹streckt›, füllt das den Magen besser, obwohl das Essen weniger Kohlenhydrate und Fett enthält.»
Eine Fettsteuer, wie sie Anfang Oktober in Dänemark eingeführt wurde, hält Horber allerdings für unausgegoren: «Man sollte lieber eine Energiedichte-Steuer einführen und dabei auch die Bewegung berücksichtigen, indem man beispielsweise die getanen Schritte von den Steuern abzieht.»
Infografik: http://www.20min.ch/interaktiv/vizualne/2010_09_Fettleibigkeit/index.html
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